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05.06.2021 17:50

Verzicht auf Widerrufsrecht auch ohne Wahlmöglichkeit wirksam

LG München I, Urt. v. 01.06.2021, Az. 33 O 7498/20

In dieser Entscheidung stand u.a. die rechtliche Beurteilung zur Überprüfung, ob ein Verzicht des Verbrauchers auf sein Widerrufsrecht bei Dienstleistungen im Fernabsatz nach § 356 Abs. 4 BGB auch dann wirksam ist, wenn der Vertragsabschluss faktisch nur unter Erklärung dieses Verzichts angeboten wird.  

Was war passiert: Unsere Mandantin ist ein Unternehmen, das Dienstleistungen über das Internet erbringt. Vor der Auftragserteilung muss der Verbraucher durch Aktivierung eines Häkchens folgende Aussagen bestätigen:

„Ich bin einverstanden und verlange ausdrücklich, dass Sie vor Ende der Widerrufsfrist mit der Ausführung der beauftragten Dienstleistung beginnen. Mir ist bekannt, dass ich bei vollständiger Vertragserfüllung durch Sie mein Widerrufsrecht verliere“

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und

„Ich habe das mir zustehende Widerrufsrecht und die Datenschutzerklärung zur Kenntnis genommen“

Der Verbraucher konnte den Auftrag nur erteilen, wenn er damit einverstanden war, dass mit der Ausführung der konkret beauftragten Dienstleistung sofort begonnen wird. Ohne diese Zustimmung war die Schaltfläche "Auftrag erteilen" nicht aktiviert.

Die Verbraucherzentrale Bundesverband nahm an dieser Gestaltung  Anstoß und mahnte unsere Mandantin u.a. wegen eines behaupteten Wettbewerbsverstoßes ab. Unstreitig war, dass die angegriffene Gestaltung sich unmittelbar an die nach § 356 Abs. 4 BGB vorgesehene Regelung anschließt, die dem Verbraucher eine ausdrückliche Zustimmung abverlangt. Sie vertrat aber  die Auffassung, die Zustimmung des Verbrauchers zum Verzicht auf das Widerrufsrecht sei nicht wirksam, weil es an der Freiwilligkeit fehle. Dies folge nach Ansicht der Verbraucherzentrale Bundesverband daraus, dass der Verbraucher faktisch allein die Wahl zwischen dem Abschluss des Vertrags und der gleichzeitigen Zustimmung zur Ausführung der Dienstleistung und dem generellen Nichtabschluss des Vertrags mit unserer Mandantin hat.

Zusammenfassend vertrat die Verbraucherzentrale Bundesverband also die Auffassung, dass dem Verbraucher generell die Wahl belassen werden müsse zwischen einem Vertragsschluss, in der das Widerrufsrecht unvermindert besteht und mit der Ausführung der fraglichen Dienstleistung nicht vor Ablauf der Widerrufsfrist begonnen wird, und einer solchen Gestaltung, in der infolge ausdrücklicher Zustimmung zur Ausführung der Dienstleistung des Widerrufsrecht erlischt.

Nachdem wir die Ansprüche für unsere Mandantin außergerichtlich als unbegründet zurückgewiesen haben, erhob die Verbraucherzentrale Bundesverband Klage beim Landgericht München I. Dieses wies die geltend gemachten Ansprüche ebenfalls als unbegründet zurück und bestätigte unsere Rechtsauffassung. In der schriftlichen Urteilsbegründung führt das Gericht hierzu aus:

"Dass dem Verbraucher insoweit die Freiwilligkeit fehlen würde, wie dies der Kläger vertritt, vermag die Kammer nicht zu erkennen. Insbesondere kann keine die Freiwilligkeit ausschließende unmittelbare oder mittelbare Druckausübung des Unternehmers (vgl. zu diesem Kriterium MüKoBGB/Fritsche, 8. Aufl. 2019, § 356 Rn. 45) darin gesehen werden, dass der Verbraucher faktisch allein die Wahl zwischen dem Abschluss des Vertrags und der gleichzeitigen Zustimmung zur Ausführung der Dienstleistung und dem generellen Nichtabschluss des Vertrags mit der Beklagten hat. Die Kammer vermag sich der Ansicht, dass dem Verbraucher generell die Wahl belassen werden müsse zwischen einem Vertragsschluss, in der das Widerrufsrecht unvermindert besteht und mit der Ausführung der fraglichen Dienstleistung nicht vor Ablauf der Widerrufsfrist begonnen wird, und einer solchen Gestaltung, in der infolge ausdrücklicher Zustimmung zur Ausführung der Dienstleistung des Widerrufsrecht erlischt (so wohl AG Neumarkt BeckRs 2015, 07762; LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 29.09.2015 – 5 S 3348/15), nicht anzuschließen.

Denn hiergegen spricht bereits der Wortlaut des § 356 Abs. 4 S. 1 BGB, der eine entsprechende Einschränkung nicht vorsieht, und der im Zusammenhang mit Art. 16 Abs. 1 lit. a) RL 2011/83/EU zu lesen ist, in dem ebenfalls eine derartige Beschränkung nicht angelegt ist. Die Gesetzesbegründung lässt sich für die vom Kläger vertretene Sichtweise ebenfalls nicht heranziehen (vgl. BT-Drs. 17/12637, S. 61). Auch Sinn und Zweck der Vorschrift, im Zusammenhang mit bestimmten Dienstleistungen, die bereits ihrem Wesen nach schwieriger rückabzuwickeln sind als der Warenkauf, ein Erlöschen des Widerrufsrechts im Sinne einer zeitlich nahen Vertragsdurchführung zu ermöglichen, sprechen gegen die Sichtweise, dem Verbraucher müsse in jedem Falle auch eine Vertragsschlusssituation ermöglicht werden, in der das gesetzliche Widerrufsrecht unvermindert fortbesteht. In diesem Zusammenhang ist auch zu sehen, dass der Verbraucher durch das in § 356 Abs. 4 S. 1 BGB vorgesehene Ausdrücklichkeitserfordernis ebenso ausreichend geschützt ist wie durch den Umstand, dass das Widerrufsrecht erst nach vollständiger Erfüllung der Dienstleistung durch den Unternehmer erlischt.

Update vom 19.11.2022: Die Verbraucherzentrale hatte gegen das erstinstanzliche Urteil Berufung eingelegt. Inzwischen hat auch das OLG München mit Urteil vom 17.11.2022 (Az. 29 U 4010/21) die geltend gemachten Ansprüche zurückgewiesen und unsere Rechtsauffassung bestätigt. Die Revision wurde nicht zugelassen.